Gerhard Rießbeck. Bilderträger
Thomas Heyden
„Ich beugte mich über die Zeichnung und sah, daß er dem Antlitz des riesenhaften Christusträgers seine eigenen Züge verliehen hatte.“
Michel Tournier, Der Erlkönig
Schweren Schrittes kämpft er sich mit Stöcken voran. Es schneit, es ist vermutlich eisig kalt. Auf dem Rücken schleppt er jene Bilder, denen er seine Existenz verdankt, denn dieser Bilderträger setzt sich selbst aus sechs unterschiedlich großen Formaten zusammen, die durch weitere Bildelemente unmittelbar auf der Wand ergänzt sind. Ein einsamer Kämpfer. Ein Maler. Eine Selbstdarstellung des Malers Gerhard Rießbeck.
Seine übergroße Figur an der nordöstlichen Langwand des Ausstellungssaals der Kunsthalle Schweinfurt ist ein später Nachfahre der spätmittelalterlichen Christophorusfiguren, wie wir sie von Fresken in zahlreichen Kirchen kennen. Der Riese, als der Christophorus in den Heiligenlegenden geschildert wird, verlangte einen entsprechend großen Maßstab. Träger ist auch er, nämlich Christusträger, wie sein Name zu übersetzen ist. Seine Popularität verdankte sich der Identifikation des auf den Schultern getragenen Christuskindes mit der elevierten Hostie, also dem Allerheiligsten.
Es ist gewiss nicht verfehlt und jedenfalls nicht blasphemisch, auf dem Rücken von Rießbecks Figur eine ähnlich kostbare Last zu vermuten. Denn für den Maler ist das Bild eine Art Sakrament, das ihm einen Bund schließt mit dem, was kaum zu zeigen und schon gar nicht zu sagen ist. Doch wenn einer überhaupt noch den Weg ins Numinose wagt, dann ist es der Maler, der Bilderträger, der unter der Last des Bildermachens ächzt, als hätte er die ganze Welt auf seinen Schultern zu tragen.
Aus dem Dunkel der gezackten Kapuzenöffnung fällt helles Licht auf die nach vorne gestreckte rechte Hand. Was wie eine Helmlampe erscheint, sind tatsächlich Sehstrahlen. Ein antikes Erklärungsmodell für das Wunder der visuellen Wahrnehmung. Für Gerhard Rießbeck ein Bild für den privilegierten Blick des Künstlers, dessen Sichtweise die Welt erhellt. Wie überhaupt sein Künstlerbild dem klassischen Schöpfermythos verpflichtet ist. In einer anderen Darstellung ist eine frei im Raum vor dem Maler schwebende makellos weiße Fläche der Ursprung blendenden Lichts. Ausgelöst scheint diese Emanation durch die Geste des Künstlers, der sich anschickt, die Fläche in ein Bild zu verwandeln. Woher er die Inspiration bezieht, verrät ein gleichgroßes Gemälde, das den stehenden Maler mit einem Eisklumpen in der Hand zeigt. Der Klumpen strahlt wie ein heiliger Kristall und löscht durch sein gleißendes Licht die Individualität des Künstlers aus, der sich ganz in den Dienst einer höheren Idee stellt. Damit ist die Trias des Lichts komplett. Das Augenlicht, das Weiß der Leinwand und die blendende Welt von Eis und Schnee stehen in der Kunst von Gerhard Rießbeck für Subjekt, Medium und Objekt.
Darüber hinaus illustriert das unerbittliche Weiß der Schnee- und Eiswüsten die Schrecken des Malers angesichts der grundierten Leinwand. Sie mit Form und Farbe zu füllen, kommt jedes Mal einer Expedition ins Ungewisse gleich. Völlig offen, ob der Maler als Amundsen zurückkehrt oder als Scott endet. Überhaupt enthüllt sich Gerhard Rießbecks Motivwelt als eine fortgesetzte Selbstreflexion eines Malers. Auch die schlichten Häuser mit Satteldächern, die er so oft malt, sind nichts anderes als Metaphern für Bilder. Gewiss mögen Erinnerungsbilder von den Reisen des Künstlers in den hohen Norden einfließen, doch alles Anekdotische ist Gerhard Rießbeck im Grunde fremd. Auch Rießbecks Häuser sind Bildträger. Archetypisch steht dafür das Gemälde Das Bild (2016). Ein hölzernes Haus ohne Türen und Fenster. Übertrieben groß ist die Maserung des Holzes wiedergegeben, was nicht ohne Bedeutung ist. Dort, wo ein Fenster sein könnte, hängt ein Bild. Außen, nicht innen. Wie ein Zeichen dafür, dass es sich auch bei dem vermeintlichen Haus um ein Bild handelt. Diesmal jedoch nicht als Darstellung einer Leinwand, sondern im übertragenen Sinn. Denn Häuser und Bilder haben den Raum gemein. Der Unterschied zwischen Real- und Illusionsraum wird dadurch zum Thema, dass die Häuser in Gerhard Rießbecks Gemälden in der Regel nicht zu betreten sind. Wir können uns in Bildern eben nicht bewegen, auch wenn sie es suggerieren. Damit ist das Haus eine unzugängliche Cella mit einem Geheimnis, das sein Inneres birgt. Könnte es eine passendere Metapher für das idealistische Verständnis eines Bildes geben?
Und noch ein Bilderträger: die Ikonostase. So heißt in der Ostkirche die Bilderwand, die das Kirchenschiff vom Altarraum trennt, und so hat Gerhard Rießbeck ein 2 mal 3 Meter großes Gemälde betitelt, in dem eine überraschende Bildskepsis zum Ausdruck kommt. Denn Rießbecks Ikonostase (2018) ist nicht golden, sondern rostig. Die Bilder darauf sind kein Vorschein eines Jenseits, sondern ganz mit sich selbst, ihrer Räumlichkeit und ihrem Realitätsstatus beschäftigt. Ein leerer Keilrahmen und eine querrechteckige Umrisszeichnung sind Leerformen des Bildes, die von einer großen Krise künden. Doch es gibt auch ein Dahinter. Wir können durch den mittigen Durchgang blicken und erkennen Stämme, die die Bilderwand stützen müssen. Senkrecht steht sie ohnehin nicht mehr. Und die dahinterliegende Eislandschaft ist eigentlich nur noch ein uneinlösbares Versprechen. So haben wir den euphorischen Bilderträger noch gar nicht kennengelernt.
* Ein anderer Künstler, der Bilder als Häuser darstellt, ist Thomas Huber. In seinem Text Ein Bild wie ein Haus, so gross (in: Thomas Huber. Schauplatz, 1998) schreibt er: „Manchmal glaube ich, Bilder und Häuser sind mir wie eins.“
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Gerhard Rießbeck ist „Künstler des Monats“ der Metropolregion Nürnberg - September 2017
Georg Graf v. Matuschka
Die Jury des Forums Kultur der Europäischen Metropolregion Nürnberg kürt mit dieser Wahl einen bildenden Künstler, der in der Metropolregion Nürnberg lebt und arbeitet, und mit seinen Arbeiten überregionale Anerkennung und Aufmerksamkeit erzielt. Auch wenn Gerhard Rießbeck das Reisen in exotisch anmutende Gegenden unseres Planeten wie magnetisch anzieht, ist sein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt immer wieder sein Zuhause in Bad Windsheim. In seinem dortigen Atelier entstanden Hunderte von Arbeiten, die von Reiseeindrücken und Naturerlebnissen ferner Territorien bestimmt sind. Seine Reiseziele lagen und liegen fern von den touristisch und kommerziell überformten Landstrichen und Naturgürteln unserer Erde. Der Hype, den touristische Hochburgen auf ein Massenpublikum ausüben, hat in dessen Reisegepflogenheiten wenig bis gar nichts verloren. Er sucht die Stille, das Reizvolle im kaum Nahbaren. Die Naturgewalten im arktischen Meer faszinieren ihn.
Aus seinen tiefgreifenden Eindrücken und Erfahrungen im polaren Eismeer, die er einst als Begleiter wissenschaftlicher Expeditionen machte, zieht er über Jahre hinweg immer wieder neue Aspekte bildnerischen Schaffens. In seinen Bildern umkreist er real fassbare wie auch sinnbildlich umschreibbare Themenkomplexe wie „Distanz“ und „Ohnmacht“, „Existenz“ und „Dasein“, sowie das Aufbrechen raum-zeitlicher Gewissheiten. In seinen Bildräumen spielt er immer wieder mit der Dissonanz zwischen S e i n und S c h e i n, Realität und konstruierter 3-D-Metaphorik. Naturkörpern und Schablonenkonstrukten. Masse versus Staffage. Stabil versus labil, und dazwischen all das , was wir als das Diffuse und Unfassliche benennen würden. Und so ist Rießbeck im eigentlichen Sinne kein Landschaftsmaler und kein Porträtist, kein Realist und Symbolist, kein Surrealist und kein Illustrator, sondern ein Künstler, der es meisterhaft versteht, die stilprägenden Kunstgattungen der Moderne auf eigentümliche und manchmal subtil gewitzte Art zu durchmischen.
Im strengen Sinne sehen wir in Rießbecks Gemälden Gedankenbilder, die sich aus einem bestimmten Reservoir von Erfahrungen verschiedener Bildwelten bedienen. Diese Durchmischung erlauben einen emotionalen wie kognitiven Zugang zu dessen Kunst und es ist nicht immer sofort klar, auf welche Seite dieser Kippbewegungen der Betrachter die Bildwelten Rießbecks in sich vereint. Das Spiel der Kräfte und Formen in Rießbecks Bildern verleiten zu ahnungsvollen und visionären Gedankenspielen, die eine reale Brisanz genauso beherbergen wie spielerische Freiheitsräume eröffnen. In diese inneren Reisen des Sehens lockt uns Rießbeck in zahlreichen seiner handwerklich meisterhaft angelegten Malerei- und Erfahrungsräume.
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Der Blick des Forschers
Hans-Peter Miksch
Rede zur Ausstellungseröffnung im Umweltbundesamt, Dessau, am 22.9.2009
Dass ein Kunstmaler ein Reisender ist, ist fast ein Synonym. Es gehört zur lebendigen, also stets erneuerten Legende des Malers, zu seinem Selbstbild – bei einem Bildhauer würden wir es ja weit weniger erwarten –, dass er ferne Länder bereist, Sehnsuchtsorte aufspürt, Nichtalltägliches registriert, dass er wie Paul Gauguin oder Emil Nolde das Paradies der Südsee entdeckt und dem Licht entgegenreist. Die Geschichte der Malerei könnte man auch entwerfen als eine Geschichte des Reisens, von den an wechselnden Orten tätigen Meistern des Mittelalters über Albrecht Dürer bis zu den auf seinen Spuren in Italien wandelnden Deutschrömern, über die reiselustigen Vertreter der frühen Moderne und der Avantgarde Ende des
19. Jahrhunderts bis zu den selbsternannten Kunstnomaden des späten
20. Jahrhunderts. Künstler waren immer besonders mobil, früher sagte man polyglott oder einfach weltläufig. Es kennzeichnet einen weltbekannten Maler wie Sean Scully, dass er gleichzeitig Ateliers in New York, Barcelona und in der Nähe Münchens unterhält, vulgo stets „auf Achse ist“: Unterwegssein als Teil des kreativen Prozesses.
Verschiedene Ateliers unterhält er zwar nicht, aber als leidenschaftlicher Maler pflegt Gerhard Rießbeck (G.R.) die Kunst der nicht alltäglichen Reise. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei einem Lehrer, der, extreme Gegenden wie die Sahara oder verschiedenste Vulkane rund um den Globus erkundend, das Reisen als Quelle der Selbsterfahrung und als Impuls für neue Werke intensiv wie exzessiv nutzte. Zu Beginn der künstlerischen Laufbahn von R. Mitte der 1990er-Jahre war die Neugier auf Gegenden extremer Kälte auch ein Reflex auf die Reisevorlieben des akademischen Lehrers, so als könne G.R. sich so am besten von dem Älteren unterscheiden, ohne sich andererseits von ihm zu distanzieren. Im Jahr 2004 kamen wir daher zusammen zu einer Ausstellung mit dem Titel „Heißkalt“.
Unser aller Bild von Künstlerreisen ist noch vorwiegend von romantischer Sehnsucht geprägt, weil wir an verstorbene Maler denken, die auf der Suche waren nach einer unverdorbenen Kultur in einer ursprünglichen Natur, und weil wir von den Inspirationslegenden zehren, die uns die Künstler erzählt haben. Vor allem außereuropäische Motive wurden stets zum künstlerischen Rohstoff. Und die Ästhetik der exotischen Harmonie berühmter Reisebilder berührt uns noch nach hundert und mehr Jahren.
Der Antrieb nach wie vor jeder Künstlerreise war das neuartige Motiv. Es konnte nicht ausbleiben, dass Künstler der beginnenden Moderne Ausschau hielten nach den übersehenen Motiven, nach den marginalisierten Orten. So entdeckten beispielsweise die Realisten das Leben der untersten Gesellschaftsschicht. Das waren auch Reisen, allerdings mit recht kurzen Wegstrecken, Reisen auf die andere Seite der Gesellschaft, quasi die andere Seite der Geschichte. 1853 veröffentlichte der Hegelschüler Karl Rosenkranz die Ästhetik des Hässlichen. Es musste unweigerlich dazu kommen, dass die Kunst wie die Philosophie auch das Hässliche, das Gefährliche, das Bedrohliche, das Erschütternde nach der Romantik à la Philipp Otto Runge wiederentdeckte. Ein berühmtes Beispiel in einer Übergangszeit ist das „Floß der Medusa“ von Theodore Gericault von 1819, auf das G.R. anspielt mit seinem Gemälde einer rätselhaften, sogenannten „Reisegesellschaft“, die sich auf einer Eisscholle eingefunden hat. Die Apokalypse als negative Utopie erscheint auf diesem Bild als fast überraschungsloser Moment, da werden keine Arme hilfesuchend `gen Himmel gereckt, da öffnen sich keine gemalten Münder zum lautlosen Schrei.
Das Gemälde von Gericault, das ausgeht von einer skandalösen Information, die die französische Regierung vor dem Volk hatte geheim halten wollen, versucht dagegen in heroisch-idealisierter Form die Verknüpfung realer Vorgänge mit psychologisch-emotionalen Momenten des Schwankens zwischen Verzweiflung und letzter Hoffnung.
So oder so: Die wohltemperierten Zeiten erscheinen immer als eher kurzlebige Zäsuren, denn seit der Griechischen Trägodie gilt, was einst Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ schrieb: "Unglück, Tragödie, Katastrophe, Verbrechen, Sünde, Wahn, Gefahr – das ist der Stoff, aus dem die großen Schöpfungen bestehen."
Ernst H. Gombrich sagt in seinem Standardwerk „Die Geschichte der Kunst“, dass Dreh- und Angelpunkt der Darstellung oft der Wunsch sei, etwas anders zu machen. Die künstlerische Innovation, wenn man so will, beginnt mit dem Wunsch, etwas anders oder etwas anderes zu sehen. Gombrich schreibt: "Der Drang, einmal etwas anders zu machen, ist sicher nicht der tiefste und erhabenste Anlaß künstlerischen Schaffens, aber er fehlt doch selten ganz."
Mag es also ein ganzes Bündel an Erklärungen geben für die Reisen G.Rs in die Arktis und Antarktis, nach Island, Grönland oder das besonders befremdliche Kamtschatka mit seinen Schwefelquellen und Vulkanen, der von Gombrich genannte Drang ist sicher ein nicht unbedeutender Teil der Motivation.
Die figürlich-gegenständliche Malerei scheint vom Raum zu handeln. Aber tatsächlich handelt sie wie alle Malerei von der Zeit. Der Blick, den unser Maler auf extreme Landschaften richtet, scheint von der Weite gewisser Räume zu sprechen. Aber in Wirklichkeit sprechen die Bilder von einer Auffassung von Zeit, sie sprechen von dem Verständnis von Zeit, das ihr Autor hat oder zumindest gerne besäße. Zeit kann man nicht malen, aber man kann Malerei einsetzen, um sich Zeit zu verschaffen. Denn Malerei verbraucht Zeit! So war es immer gemeint, wenn die Verteidiger der Malerei gegen ihre Kritiker ins Feld führten, dass die Malerei uns einen Ausweg bieten könne aus der Hektik des modernen Lebens. Henri Matisse war so einer, der die intensive Naturbetrachtung beim Malen als eine Form nützlicher Zeitlosigkeit verstand.
Die Ausstellung hat G.R ebenso wie seinen aktuellen Katalog »Der Blick des Forschers« betitelt. Das Personal der Figurenbilder dieser Serie, Naturforscher respektive Naturwissenschaftler, wirkt wie Staffagefiguren. Eigentlich sind Staffagefiguren kleiner, randständiger. So wie bei Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“. Die Staffagefiguren, die es ebenso in der traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei gibt, wirken auf den ersten Blick unscheinbar und marginal. Mit der Zeit jedoch begreift der Betrachter sie als Dreh- und Angelpunkt der Komposition. Und die äußere Landschaft wird durch diese Figuren zur Innenschau, zur inneren Landschaft.
Rs Figuren sind unübersehbar und stehen doch irgendwie am Rand. Da ist eine Unverbundenheit. Die Personen erscheinen in der Weite der Landschaft maßstabslos und auf schwer zu benennende Weise zu groß. Dieses schier Monströse der in ihre Daunenanoraks verpackten Männchen hat etwas Gleichnishaftes. Der Körper und der Raum sind aus dem Gleichgewicht, ein Hinweis, dass diese Existenz an jenem Ort keine paradiesische Dimension mehr hat. Dabei verspricht Wissenschaft per se Kontrolle der Welt. Sie misst und definiert, etwas, das sich die Kunst nicht erlauben kann. Die Forscher auf den Bildern von G.R. halten inne. Sie stehen, aber wir sehen sie nicht schauen. Vielleicht haben sie ja die Augen einen Moment geschlossen? Erschöpft von der Willensanstrengung, die sich verschließende, die den Menschen ausschließende Eislandschaft als reines Objekt zu behandeln, sie nicht metaphorisch zu erleben? Frustriert vielleicht von dem Gedanken, dass Forscher seit über 200 Jahren immer mehr Informationen zu immer mehr Menschen bringen, aber die Menschen zunehmend weniger wissen, was sie mit diesen Informationen anfangen sollen? Mit anderen Worten: Dass sich die Schere zwischen dem Know-How und dem Orientierungswissen immer weiter öffnet.
Halten die Figuren auf den Bildern von R. Innenschau? Wenn, wäre es eine sprichwörtlich eisige, vom menschlichen Standpunkt aus das Paradigma völliger Erstarrung. Obwohl jemand, der diesem Personal skeptisch gegenüberstehen würde, zu einem solchen Schluss fähig wäre. Einen Reichtum an Gefühlen lässt der Panzer aus Daunen, Kunstfasern und anderen Spezialtextilien, Mützen, Mundschutz und Brillen nicht durchdringen. Es braucht viel Fantasie, sich die Protagonisten als emotionsgeladen vorzustellen. Die Figuren stehen vielmehr in Konfrontation zur Landschaft. Denn diese Landschaft braucht keinen Menschen. Wollte man stärker projizieren, könnte man formulieren: Diese Landschaften wollen den Menschen nicht.
Begegnungen mit der Spezies Naturwissenschaftler hatte der Künstler als Begleiter zweier Expeditionen genügend. Expeditionen gibt es auch noch im 21. Jahrhundert, allerdings ohne jeden Beigeschmack von Freiheit und Abenteuer – mit Ausnahme der bereits angekündigten, ultimativen Expedition des 21. Jahrhunderts: dem Flug zum Planeten Mars.
Begleitet werden die Expeditionen unserer Tage, die der Verifizierung von Thesen und dem Sammeln von Proben dienen, von Wissenschaftlern mit Filmkamera und Fotoapparat. Expeditionsmaler sind hingegen eine praktisch ausgestorbene Spezies. Ein überlebendes Exemplar erschiene einem, als würde sich aus einer Solnhofener Schieferplatte plötzlich ein Urvogel erheben, um tatsächlich von einem Felsvorsprung herab zu segeln. Vor Erfindung der Fotografie musste jeder Forscher zeichnen können, um nicht nur etwas sagen, sondern auch etwas zeigen zu können! Aber seit der Erfindung der Fotografie triften Kunst und Naturwissenschaft auseinander, und das Bild wird degradiert zum Beleg des Gesagten und des Errechneten.
Wenn wir folglich den Expeditionsmaler G.R. als Anachronismus betrachten, sind wir aber auf dem Holzweg. Ja, es stimmt: Sein Tun spielt keine Rolle für die Experimente der Wissenschaftler, seine Bilder werden nicht von einer Labormannschaft ausgewertet.
Aber der Blick des Forschers ist ja nicht nur der Blick irgendeines Forschers auf dem deutschen Expeditionsschiff „Polarstern“, den G.R. beobachtet hat, es ist genauso der Blick des Künstlers auf seine Umgebung. R. hat eine selbstgewählte Aufgabenstellung, die völlig anders ist als die der Forschungsgemeinschaft, der er bei den Reisen in Arktis und Antarktis angehören durfte. Seine Aufgabe ist radikal subjektiv, sie bleibt an der Oberfläche und zieht dennoch Schlüsse! Der Blick des Forschers ist der Blick des Künstlers, der sich als der Andere versteht, als Beobachter zweiter Ordnung, als Frage- und Infragesteller, Teil der Expeditionsgruppe und auch wieder nicht! G.R. schreibt, seine Reisen seien einem Bedürfnis nach Selbstvergewisserung entsprungen.
Wo sind eigentlich die Blicke der Forscher? Entweder sind die in Kapuzen gehüllten Köpfe der Expeditionsteilnehmer vom Betrachter abgewandt, oder, wenn sie uns wie der Kopf des „Knud R.“ im Profil zugewandt sind, sehen wir nur eine Nase. Die Augen sind durch die Kapuze der Daunenjacke verschattet, in anderen Fällen sind sie durch riesige Brillen geschützt. Den Blick des naturwissenschaftlichen Forschers sehen wir also gar nicht. Wir sehen, was der Maler als Beobachter der Beobachter uns zeigt, das, was er als relevant einstuft, um es uns darzubieten. Die Personen agieren nicht. Sie wirken – mit Ausnahme des Protagonisten des Bildes „Der Sprung“ – aktionslos, starren, auf ihre Skistöcke gestützt, in die leere Weite oder liegen an der Eiskante mit dem Gesicht zum Wasser. Sie wirken völlig emotionslos. Nebenbei: Es scheint keine weiblichen Forscher zu geben, wenn doch, betreiben sie in dieser Welt ohne Frauen hervorragend Mimikry.
Die Benennung der Emotionslosigkeit ist wie ein Urteil. Die Figuren der Figurenbilder sind wahre Statisten, sind paradoxe Staffage im Vordergrund, während der Hintergrund erhabene Leere evoziert, ein Gefühl zwischen Hingabe und Überwältigung.
Bei aller Ähnlichkeit deute ich die zwei verschiedenen Wege von G.R. doch sehr unterschiedlich:
In seinen Landschaftsbildern, die die menschliche Figur aussparen, arbeitet er mit Pathos. Die starken Helldunkel-Kontraste schaffen eine latente Spannung der Angstlust. Die reinen Landschaftsbilder wie „Eisnacht (...)“ sind in ihren Valeurs fein abgestuft modelliert. Sie spielen mit einer Freude an der Artistik, sie sind nicht eruptiv-expressiv, sie besitzen Anklänge an den längst untergegangenen Akademismus des 19. Jahrhunderts. Der Maler gibt uns mit ihnen ein Fest für die Augen und Stoff für selbstgesponnene Geschichten.
In den Figurenbildern spricht R. auf indirekte Art und Weise von der Bedrohung der Natur durch den Menschen. Es ist die Bedrohung, dass die Vielfalt der Erscheinungen reduziert wird und die Umwelt zunehmend verarmt durch einen latenten Zerstörungswillen des Menschen. Es ist das, was Jean Baudrillard sagt in seinem letzten, zu Lebzeiten publizierten Text wenn er meint, dass der Mensch eben den keineswegs nur negativen Wunsch hat zu verschwinden, die Frage zu stellen, wie sieht die Welt ohne ihn (ohne ‚uns‘) aus? Sieht sie – im übertragenen Sinn – kalt aus?
Der Künstler lässt mit seinen blicklos blickenden Gestalten sehr subtil eine existentialistische Stimmung anklingen – die wohl fürchterlichste Form der Selbsterkenntnis, zu der der Mensch fähig ist –, nämlich die uns in hellen Momenten unseres Bewusstseins durchdringende Erkenntnis, dass diese Natur, jenseits eines Schöpfergottes, uns nicht braucht.
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Sägewerk - Gerhard Rießbeck
Dr. Andrea M. Kluxen
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Sägewerk“. Galerie Destillarta, Buchschwabach, 15. März 2009
Empfangen wurden Sie am Eingang schon durch Kunst, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Kunstwerke, die gleichzeitig Gegenstände wie auch Buchstaben sind. Darstellungen von Holz, Röhren, Mauer, Fahne und Tempel bilden nämlich das Wort KUNST. Diese Mehfachcodierung, die den Betrachter zunächst stutzen lässt, ihn überrascht, dann zum Lachen bringt und schließlich eine stete Reflexion auslöst, ist charakteristisch für den Künstler, dessen Ausstellung „Sägewerk“ wir heute eröffnen.
Gerhard Rießbeck ist ein Künstler, dessen Werke weit über die Region hinaus bekannt sind. Auf zahlreichen Ausstellungen war und ist Gerhard Rießbeck ein herausragender Vertreter der Kunst aus unserer Region und in den letzten Jahren durch seine Polarlandschaftsbilder einem großen Publikum bekannt geworden.
Gerhard Rießbeck wurde 1964 in Lichtenfels geboren. Von 1987 bis 1993 studierte er Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Prof. Werner Knaupp, der ihn zum Meisterschüler ernannte und bei dem er bis 1999 Assistent war. Seitdem ist er freischaffend tätig und lebt in Bad Windsheim.
Bereits in seiner Studienzeit schlug Gerhard Rießbeck einen konsequenten künstlerischen Weg ein, den er stetig und konstant weiter entwickelte: seine Themen sind das Figürliche und die Landschaft.
Schon früh hat er aufgrund seiner künstlerischen Leistung Stipendien und Preise erhalten; besonders zu erwähnen ist sicher der Sonderpreis des Verlegers der Nürnberger Nachrichten im Jahr 2004. 1994 verbrachte er mit einem Stipendium des DAAD vier Monate in Island, ein Aufenthalt, der seine Begeisterung für nordische Gefilde begründete. 2001 war er in der Arktis, 2005 und 2007 nahm er an Polarexpeditionen zur Antarktis teil. Seitdem verfolgt er das Projekt „Expeditionsmaler“.
Aber heute geht es nicht um seine „Polarbilder“. Heute gewährt uns Rießbeck einen Einblick in eine andere, eine verspielte, aber trotzdem auch ernste Seite seines Werkes, das uns einen ironischen und gleichzeitig gebrochenen Blick auf die Welt bietet.
Wir sehen beispielhafte Arbeiten aus drei Werkgruppen, die Rießbeck seit den 1990er Jahren gefertigt hat und die man auch chronologisch wie folgt auflisten kann:
1. Architektur- und Landschaftsbilder, die in der Destille zu finden sind.
2. Kulissenbilder, ausgesägte Gemälde, die der Ausstellung ihren Titel geben. Diese sind hier in der Scheune auf der Bühne und in den Kellern sowie draußen zu sehen.
3. und kleine Gemälde mit absonderlichen Grotesken, bizarren Themen, burlesken Sujets und schrulligen Figuren, die Rießbecks Freude an kippenden Inhalten deutlich machen.
Gemeinsam haben diese drei Werkgruppen das hintergründige Spiel mit Sehgewohnheiten und Assoziationen, den Rekurs auf Kunstgeschichte oder Literatur sowie das – aber durchaus wohlwollende - Irritieren des Betrachters.
In den Architektur- und Landschaftsbildern, die Rießbeck seit dem Ende seiner Akademiezeit schuf, suchte er eine Verbindung von scheinbar traditioneller Landschafts- und Architekturmalerei und einem künstlichen, bühnenbildhaften Geschehen, das mit Wahrnehmungen und Täuschungen spielt.
Beispielhaft sei hier die „Allgäulandschaft“ genannt: Eine vordergründig intakte Landschaft, die touristischem Ideal oder utopischen Sehnsüchten nach einer heilen Welt entspricht, entpuppt sich auf den 2. Blick als Bühnenbild. Denn am rechten Rand sieht man, wie die Landschaft im Bild aus Sperrholz und Verstrebungen gebaut wurde – aber auch das gemalt, also ein Bild im Bild. Die Landschaft wird zur Kulisse und damit inhaltlich gebrochen. Statt auf heroische Landschaft stößt der Betrachter auf subversive Ironie.
Rießbeck thematisiert hier zum einen die spielerische Freude am Durchschauen, zum andern kritisiert er aber die Vorspiegelungen der Tourismusbranche und unsere „heile-Welt-Träume“.
Ebenfalls kulissenartig sind die Architekturbilder. Ein Gemälde heißt „Kirchenkulisse“, und tatsächlich findet man in der dargestellten Kirche ausgesägte Löcher, durch die man den Hintergrund sieht. Damit zeigt sich das Gebäude als Staffage und eben nicht als Architektur. Eine weitere Kirche findet sich umgekehrt auf der Turmspitze stehend in der Landschaft; deren Titel ist „Schlechte Landung“.
Diesen Wortwitz, der bei Rießbeck des öfteren vorkommt, unterstreicht noch einmal den artifiziellen Charakter und betont das spielerische Moment, indem Wirklichkeitsverfassungen ins Gleiten geraten, sich verwirren und vertauschen.
Auch bei dem Gemälde „Marmor bricht und Eisenstein“ – zusammenbrechende Säulen und stürzende Steine wie auf manieristischen Architekturbildern - schwingen aufgrund des Titels Assoziationen mit, die über den Bildgegenstand hinaus weisen und falschem Pathos eine Absage erteilen.
Die Landschaften oder Architekturdarstellungen sind daher nie das, als was sie scheinen, sind nicht real, sondern konstruiert und wirken durch die verschiedenen Brechungen unwirklich, bisweilen surreal und fern. Sie erscheinen uns phänomenologisch bekannt und geläufig zu sein, wirken aber gleichzeitig fremd. Diese Charakteristika finden sich auch ähnlich in Rießbecks Polarlandschaften, die Distanz und Fremdheit vermitteln, allerdings auf den Witz verzichten.
Gleiches gilt für seine ausgesägten Kulissenbilder. Rießbeck malt hier einzelne autonome Elemente auf Sperrholz, sägt sie dann aus und kombiniert sie je nach Gelegenheit. Einfache Dinge wie Bilderrahmen sind darunter, aber auch Körperteile oder Materien, die gar nicht auszusägen sind, wie Feuer oder Wasser.
Mit spielerischem Witz entstand so eine Serie von Wand- und Bodenobjekten, die je nach Ausstellungsort neu angeordnet werden und so neue Inhalte bekommen. Denn jeder Raum wird durch die Kunstwerke zur Bühne, verändert sich und verändert umgekehrt auch die Werke.
Die zwei außen liegenden Keller hat Rießbeck mit verschiedenen Versatzstücken ausgestattet und kam dann erst zu den Titeln „Himmel“ und Hölle“. Fragmente aus unterschiedlichen historischen Kontexten, die einander wie Erinnerungen überlagern, treten gleichsam in eine neue Beziehung zueinander.
Dramatisch beleuchtet werden die Werke wie Kulissen angeordnet, deuten Geschichten aber nur an. Sie bleiben offen für jede weitere Rezeption, so dass es dem Betrachter selbst überlassen bleibt, seine Phantasie spielen zu lassen.
Die hier auf der Bühne vorgenommene Kombination aus drei Kreuzen, Schweißtuch, Blitz, zerrissenem Vorhang, Dornenkrone usw. lässt die Assoziation von Passionsspiel aufkommen. Der Kalvarienberg, das Schweißtuch der Veronika, das Unwetter an Karfreitag, der Vorhang, der beim Tod Jesu zerreißt – all das geht einem durch den Kopf. Doch bei längerer Betrachtung könnte es auch ganz anders sein, z.B. ein Requisiten- oder Bühnenbildlager, schließlich finden sich hier auch noch verschiedene andere, ganz banale Gegenstände.
Denn Rießbeck greift zwar traditionelle Ikonographie oder kunsthistorische Vorbilder auf – er nennt das selbst „Raubzug durch die Kunstgeschichte“ -, jedoch entkleidet er diese Formen und Vorbilder ihrer eigentlichen Bedeutung durch andere Konstellationen. Hoheitsformen werden so entmachtet, von ihrem historischen repräsentativen Bedeutungsballast befreit, geistreich verharmlost und mit augenzwinkerndem Witz und Ironie ihrer Bedeutungswucht entledigt.
Der Appell dieser Formen geht also nicht allein in die Richtung emotionaler Bestätigung, sondern rationaler Entlarvung. So entsteht eine Spannung des Doppelsinnigen, ein Umschlagen vom einen ins andere, das der Form das Gewicht ihrer historischen Bedeutung nimmt.
So kommt der Betrachter nicht zur Ruhe. Die Diskrepanz von Denkmalwürde und Demaskierung der illusionistischen Malerei durch Erkennen des ausgesägten flachen Gegenstandes als künstliches Zeichen führt zu Verunsicherung und steter Infragestellung des Betrachterstandpunkts.
Dieses Spiel mit Wahrnehmungen, Erfahrungen und Vorstellungen, die Lust an Doppeldeutigkeiten und Verwandlungen zeigt sich auch in Rießbecks Leidenschaft für Maskeraden, Travestien, Narren, Harlekine, für Rollenträger und Verwandlungskünstler aller Art. Womit wir bei der dritten Werkgruppe angekommen sind, kleinen Bildern, eher Capriccios, gekennzeichnet durch lustvollen Regelverstoß, phantasievolle Metamorphose sowie spielerische Überschreitung von Normen.
„Die Ermordung des Kartoffelkönigs“ oder die „Betenden Hände“ eines Teufels oder trinkende bösartig wirkende Schneemänner usw. - all das sind Figurenbilder, die inspiriert sind von der Vorstellungswelt der eigenen Kinder. Ausgangspunkt sind Märchen und die ganze Kinderwelt, die mit malerischer Verve in Szene gesetzt sind. Rießbeck mixt die Elemente. traktiert die Figuren bis zur Verzerrung und Verstümmelung, überdreht die Rolle der Figuren bis zur Groteske. Die Darstellung schillert und gleitet zwischen Natur und Kunst, Realität und vollkommener Künstlichkeit. Nur ein wenig wird verändert, und schon wird aus einem lustigen harmlosen Sujet eine subtil-bösartige, tolldreiste Welt. Die Inkongruenz von Begriff und Anschauung amüsiert zuerst, doch dann erschrickt man über den Einbruch des Schrecklichen oder Bösen in eine heile Welt, und schließlich wird man zum Nachdenken über Schein und Wirklichkeit der Dinge und des Lebens angeregt.
Bei allen Werken des Künstlers produziert das Changieren zwischen Schein und Wirklichkeit, die Infragestellung des Wahrscheinlichen, das Spiel mit eingefahrenen Sehgewohnheiten ein Moment der Irritation. Aber obschon für den Betrachter keine sichere Ausgangsposition existiert, lässt er sich von der Kunst-Welt einfangen, beeindrucken und verführen.
Hier stellt sich die Frage, ob man Rießbeck als postmodernen Maler bezeichnen kann, dem nichts heilig ist, der wahllos alles aus dem Arsenal von Kunst- und Kulturgeschichte verwendet, der mit seiner uneindeutigen Mehrdeutigkeit keine Position bezieht, der an der Oberfläche bleibt.
Aber nein, Rießbeck ist kein Postmoderner, denn er bezieht im Unterschied zu diesen sehr wohl Position. Nicht das „anything goes“ oder die Gleichgültigkeit gegenüber der Rezeption ist sein Anliegen, sondern er will Denkanstöße geben. Er will, dass der Mensch hinter die Dinge schaut und nichts als gegeben hinnimmt.
So regt er den Betrachter an, Fragen zu stellen, sich nicht mit dem Eindeutigen zufrieden zu geben. Deshalb sind seine Werke nie eindimensional, kein entzifferbares System, in dem das Sichtbare vollkommen mit dem Lesbaren übereinstimmt. Die Werke entziehen sich tatsächlich unserem direkten Zugriff. Kunst ist eben mehr als das, was wir rational erfassen können.
Und so können wir uns dem Bann der Bilder nicht entziehen.
Zu diesem Bann gehört auch die sinnliche Ausdruckskraft der Gemälde, die deutlich sichtbare Freude am Malen als sinnliches Erlebnis. Denn Rießbeck ist in erster Linie ein Maler mit Lust und Leidenschaft, mit fast schon barocker Freude am Fabulieren und Inszenieren.
Es freut mich, dass die Galerie Destillarta uns die Möglichkeit gibt, diese Seite des Künstlers besser kennen zu lernen und damit vielleicht auch uns selbst.
Ich wünsche daher dieser Ausstellung und dem Künstler den verdienten Erfolg, ein breites Echo in der Öffentlichkeit sowie den Besuchern viel Vergnügen und zahlreiche Denkanstöße.
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Der Blick des Forschers
von Gerhard Rießbeck
Dem Blick des Forschers schreibt man üblicherweise Nüchternheit zu, eine kühl gliedernde Distanziertheit, die mit Interesse, aber ohne Emotion die Welt der Erscheinungen zu verstehen versucht und sie dabei den Kategorien menschlicher Logik unterwirft.
Es ist ein prüfender Blick, ein Werkzeug der visuellen Kontrolle, der einer intellektuellen Aneignung voraus geht und letztendlich dem forschenden Menschen zur Macht über die von ihm durchschaute Umwelt verhilft. Der Blick des Forschers wird damit zum Blick des Eroberers.
Darin scheint der Blick des Forschers dem des Künstlers, des Malers, verwandt. Auch für diesen ist das Sehen zugleich Werkzeug zum Verständnis und Machtmittel, wenn es darum geht, das Verstandene in die Ordnung eines Kunstwerkes zu überführen. Und umfassender noch als je ein Eroberer sich Teile der Welt unterwarf, ist die vom Künstler gestaltete Welt ganz sein eigen, ganz von ihm in Ordnung gebracht.
Allerdings erobert der Künstler nichts, was außerhalb seiner selbst liegt. Er entdeckt nichts, was nicht schon in ihm angelegt wäre. Er ist absolut egozentrisch, das heißt, alle gesehenen Dinge werden nur wichtig, wenn sie sich in Bezug setzen lassen zu seiner inneren Welt. Das lässt sich verbildlichen mit dem vom Horizont begrenzten, scheibenförmige Gesichtsfeld des Menschen: Die Welt gruppiert sich scheinbar um ihn als ihren Mittelpunkt herum. Nur in dieser Ordnung kann er die Dinge wahrnehmen und das ist auch der Filter, der aus der Fülle der Eindrücke ein Kunstwerk formen kann. Genau diesen „Ego-Filter“ muss aber der exakte Wissenschaftler im Gegensatz zum Künstler auszuschalten versuchen, um objektive, allgemein nachprüfbare Daten zu erhalten. Und so führt der forschende Blick, der beiden gemeinsam ist, zu grundsätzlich gegensätzlichen Ergebnissen.
Meine Reisen in die Polarregionen der Erde entsprangen einem Bedürfnis nach Selbstvergewisserung, nach Bestätigung der in früheren Bildern schon zumindest teilweise erarbeiteten Ordnungsprinzipien. Unbestreitbar übt die extreme Natur, vor allem, seit sie im Verschwinden begriffen ist, eine große Faszination aus, nicht nur auf Künstler und Abenteurer. Ihre zum Teil spektakulären Erscheinungsformen: ihre grenzenlose Öde, ihre vom Menschen noch nicht wirklich beherrschte Widerständigkeit, ihre tatsächliche Unmenschlichkeit – Eigenschaften, die sich dem klassisch-romantischen Topos der „Erhabenheit“ zuordnen lassen –scheinen einem Grundbedürfnis des Menschen nach Konfrontation mit dem, was über das menschliche Maß hinausgeht, zu entsprechen und eröffnen mir als Maler metaphorische Qualitäten, die über das Abbilden weit hinausführen. Die Natur der Polarregionen widersetzt sich dem abstumpfenden Gewöhnungsprozess durch ihre Maßlosigkeit. Der Mensch kann nicht Teil dieser Natur werden, sie ist eine Herausforderung, die entweder zum Rückzug zwingt, -sei es zurück in die Zivilisation, sei es in sich selbst-, oder zum Widerstand nötigt.
Nach wie vor scheinen diese Gebiete in der öffentlichen Wahrnehmung wie eine monumentale Metapher der Unzugänglichkeit und des Rätsels. In der Realität werden sie mehr und mehr der menschlichen Manipulation anheim fallen, oder gar durch Abschmelzen ganz verschwinden, was als ideeller Verlust genauso katastrophal sein dürfte, wie als ökologischer. Wenn der ganze Globus den Charakter eines Gewerbegebietes angenommen haben wird, wenn alle Rätsel gelöst und durch Probleme ersetzt sein werden, wird auf der Erde nichts mehr sein, was dem kleinlichen Maß des Menschen andere Dimensionen gegenüberstellt, nichts mehr, an dem sich zu messen und sich zu klein zu fühlen wäre, nichts mehr als die allumfassende Mediokrität menschlichen Strebens.
Es gibt zwar keine unentdeckten Flecken mehr, aber dafür kann die Malerei Unbekanntes schaffen und eine Distanz sichtbar machen. Die Kunst wird so zum Modell für das nicht manipulierbare Unzugängliche. Sie hat seit jeher die Kraft, die Welt nicht allein aus dem Aspekt des Nutzens zu sehen, sondern aus dem Aspekt der Wirkung; die Frage der Kunst ist nicht, was mache ich mit dem, was ich sehe, sondern, was hat das, was ich sehe, mit mir zu tun.
Während meiner Tätigkeit als „Expeditionsmaler“ auf dem Forschungsschiff „Polarstern“ in der Arktis (2001) und Antarktis (2005) hatte ich Gelegenheit, mir über diese Zusammenhänge Gedanken zu machen und Beobachtungen anzustellen über die verwandte, bzw. unterschiedliche Art und Weise der Anschauung von Künstler und Forscher.
Ohne Anführungszeichen geschrieben, suggeriert der Begriff Expeditionsmaler ohnehin eine enge Verbindung des Künstlerischen mit dem Dokumentarischen, eine Einheit, die über Jahrhunderte ihren Zweck erfüllte, nämlich visuelle Information über unbekanntes Terrain zu liefern. Dies geschah wohl aber meist eher auf Kosten der Kunst, sodass schließlich der Maler auch leicht durch den Fotografen oder sublime Messtechnik zu ersetzen war.
Ein Künstler heutiger Prägung, also auch ich, ist solchem Schicksal freilich enthoben, da er nicht in den funktionalen Kontext des Gebraucht-Werdens einzuordnen ist und also wirklich unbrauchbar, aber eben auch nicht ersetzbar ist. In diesem Sinne ist meine Tätigkeit zur „Expeditionsmalerei“ geworden, zu einem Rollenspiel in Anführungszeichen, das es mir erlaubte, zeitweilig scheinbar die Haltung des Objektiven einzunehmen, fast ein Forscher zu sein und die drückende Last der künstlerischen Freiheit durch ein disziplinierendes pseudo-dokumentarisches Konzept außer Kraft zu setzen, z. B. .also von jedem Tag auf See ein Bild gleicher Größe zu malen (siehe Katalog „Eistage- Expeditionsmalerei in der Antarktis“).
Und war das nicht doch auf seine Weise genau so exakt, genau so diszipliniert und genau so willkürlich, wie die Tätigkeit der Ornithologen auf dem Schiffsdeck, die zum Zweck der Vogelzählung nach einem strengen Regelwerk (nur, wenn das Schiff fährt, nur in einem bestimmten Winkel usw.) auf das Meer blickten, um ein in Zahlen übersetztes Bild der um ihre Köpfe schwirrenden Wirklichkeit zu erhalten? Und hat meine kleine begrenzte Malfläche nicht genau so viel oder wenig mit der ungeheuren Weite der Antarktis zu tun, wie der winzige Ausschnitt auf dem Bildschirm der Tiefseekamera, der den gierigen Forscheraugen die unbekannte Welt des 5000 Meter unter ihnen gelegenen Meeresbodens erfahrbar machen soll?
Der auffällige Kontrast meiner rustikal-handwerklichen Malutensilien zur hoch technisierten Ausrüstung der Naturwissenschaftler an Bord kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die exakteste Messung wieder nur ein in Daten gefasstes Bild liefert, dessen Respekt gebietende Genauigkeit nicht mit Wirklichkeit oder gar Wahrheit zu verwechseln ist.
Die Auseinandersetzung mit der Problematik des forschenden Blicks hat in meiner Arbeit nach den reinen Landschaftsbildern in den letzten Jahren zu einer Gruppe von Bildern geführt, auf denen dick vermummte Gestalten in eisiger Landschaft zu sehen sind.
Ich bezeichne diese Figuren als „Forscher“, obwohl eigentlich nichts in ihrem Auftreten direkt auf eine spezielle Tätigkeit hinweist. Weder ihr Handeln noch ihre Psyche werden ersichtlich, es bleibt offen, ob sie scheitern oder Erfolg haben. Nur ihre Ausgesetztheit in der Natur wird deutlich, die sie als Menschen in extremer Situation, als Grenzgänger, ja, als „Avantgarde“ ausweist.
Es ist ein durch die verhüllende Kleidung anonymisierter Heldentypus (und als solcher fern von den tatsächlichen Naturwissenschaftlern, wie ich sie erlebt habe), der in einer prekären Balance aus Ohnmacht und Eroberungsdrang verweilt.
In einer weiteren Reihe von Bildern schließlich ist dann nur noch der verhüllte Kopf des „Forschers“ zum Thema geworden. Die Natur, die eigentlich diese Verhüllung bedingt, ist ausgeblendet. Nun sind der Forscher und sein Blick selber Gegenstand der Betrachtung. Dick vermummt, sogar meist die Augen noch mit Brillen geschützt und daher überindividuell, schaut er aus dem Bild heraus, scheint den Betrachter zu fixieren und wird dabei selbst geprüft, ohne doch durchschaut werden zu können.
Beide Themenkreise, Forscher und Landschaft, verbindet das Meta-Thema der Distanz, des Sich-Entziehens: die Köpfe geben ihre Individualität nicht preis, die Eislandschaft widersetzt sich dem Betreten. Die Zudringlichkeit des Betrachtens und damit die des Betrachters wird zurückgewiesen und lässt ihn allein mit seiner Vorstellungskraft. Ist nicht das, was wir nur ahnen können, größer als das, was wir wissen und das Wissen der Tod der Phantasie? Die Verhüllung der Landschaft mit Eis und die Vermummung der Menschen funktionieren als Schutzmechanismus, bieten Schutz vor Vereinnahmung und Manipulation, Schutz vor der Lösung des Rätsels. Und damit das genaue Gegenteil von Forschung.
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Gerhard Rießbeck - Der Blick des Forschers
von Dr. Frank Schmidt (Kurator am Museum Frieder-Burda, Baden-Baden)
Eine Einführung in die Ausstellung der Gesellschaft der Freunde junger Kunst Baden-Baden
Eröffnung: 14.9.08
Manchmal wundere ich mich, dass wir – und ich nehme mich da keineswegs aus – bestimmte Dinge als so selbstverständlich erachten. Das Maler immer noch malen zum Beispiel. Es geht mir dabei gar nicht um eine philosophische oder ikonologische Diskussion über den Sinn der Malerei. „La peinture est morte“, so soll der Historienmaler Paul Delroche nach Erfindung der Fotografie ausgerufen haben. Und vielleicht ist auch die Vorstellung des englischen Schriftstellers Ambroce Bierce nicht allzu abwegig, von dem der schöne Aphorismus stammt, Painting sei: „The art of protecting flat surfaces from the weather and exposing them to the critic“ (The Devils Dictionary).
Einmal abgesehen von dekorativen, sentimentalen, traditionellen oder auch wirtschaftlichen Aspekten scheint es kaum Gründe zu geben, weiter und immer weiter malen zu wollen. Gerhard Richter vergrößert schließlich die Verwirrung, wenn er zwar den ketzerischen Satz äußert, er finde „manche Amateurfotos besser als den besten Cézanne“, dann aber sogleich munter weiter malt.
Ganz besonders stellt sich die Frage angesichts des reportageartigen Charakters der Malerei von Gerhard Rießbeck. In zwei Expeditionen – einer sechswöchigen Arktisexpedition mit dem Alfred-Wegener Institut im Jahr 2001 und einer elfwöchigen Antarktis Expedition 2005 – hat er die Forscher auf ihren Reisen als „Expeditionsmaler“ begleitet, um Tag für Tag seine Eindrücke in kleinen Tafelbildern gleicher Größe festzuhalten.
Die Relevanz solcher dokumentarischer Bilder war in pre-fotografischen Zeiten noch gegeben, sollten ferne Länder, fremde Menschen und unbekannte Tiere denjenigen weniger Privilegierten präsentiert werden, die nicht die Möglichkeit des Reisens besaßen. Und das waren die Allermeisten.
Der Münchner Maler Carl Rottmann hat so die heroischen Landschaften Italiens und vor allem Griechenlands – Olympia, Athen und Corinth – in Bayern verbreitet, indem sie im Hofgarten oder später der Neuen Pinakothek als Wandmalereien ausgestellt wurden und so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren.
Die Italiensehnsucht insbesondere der deutschen Künstler des 19. Jahrhunderts hat unzählige Werke hervorgebracht, die den Zeitgenossen die Bucht von Neapel und Orte wie Pompeji, Rom und Florenz als visuelle Vorstellung erschlossen haben. Topografische Genauigkeit paarte sich dabei mit Vorstellungen einer vergangenen, idealen Zeit, der Antike oder Renaissance. Auch ein Dilettant – in Sachen Kunst zumindest – Johann Wolfgang von Goethe, hat die Eindrücke seiner Reisen eigenhändig in Zeichnungen festgehalten.
Mit dem Aufkommen und der stärkeren Verwendung der Fotografie ist der dokumentarische Antrieb von Malerei zurückgedrängt worden. Zwar haben etwa Paul Gauguin oder der deutsche Expressionist Max Pechstein die Südsee bereist und Menschen und Landschaften in ihren Bildern wiedergegeben. Doch wollten sie weniger die Neugier oder Sensationslust stillen, als vielmehr ihr Ideal einer ursprünglichen, noch nicht von der Zivilisation beeinflussten Welt zum Ausdruck bringen (ein Unterfangen, das schon damals zum Scheitern verurteilt war).
Was nun kann es uns heute, im 21. Jahrhundert an neuen Erkenntnissen bringen, Ölbilder von Gegenden zu sehen, die die meisten von uns zwar noch nicht mit eigenen Augen gesehen haben, die aber dennoch bestens fotografisch und filmisch dokumentiert sind bzw. – und das müsste für den produzierenden Künstler eigentlich entscheidend sein – dokumentiert werden könnten? Warum also malen wenn es so viel einfacher geht?
Hierzu gilt es zunächst festzustellen, dass die Malerei sich in einem wesentlichen Punkt grundsätzlich von der Fotografie unterscheidet. Ein Dokumentarfoto gibt uns visuelle Informationen und erschließt uns so eine Landschaft, einen Gegenstand oder Menschen. Ein Gemälde, so detailgetreu oder wenn sie wollen ‚naturalistisch’ es ein Motiv auch wiedergibt, entzieht uns die Wirklichkeit. Ein Bild wird immer ein Befremden, eine wachsende Verunsicherung erzeugen. Nehmen Sie als Beispiel die Fotografie Ihres Elternhauses, die Erinnerungen auslöst, und Geschichten, Erlebnisse, auch Gefühle hervorrufen kann. Beim gemalten Bild desselben Hauses findet eine Verschiebung in der Wahrnehmung statt. Uns wird, wenn auch nur instinktiv, das Nichtidentische im Identischen bewusst. Wie unsere Erinnerung, so spiegelt auch dieses Gemälde nur eine Realität von unzähligen Realitäten.
Das daraus resultierende Befremden überfällt uns auch bei den Bildern Rießbecks. Während seiner elfwöchigen Antarktisexpedition im Jahr 2005 sind die kleinformatigen „Antarktischen Skizzen“ entstanden, die Sie im angrenzenden Raum sehen. In Form eines Reisetagebuchs angelegt können sie doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Bilder sehr konzentrierte und subjektive Aufnahmen aus dem Blickwinkel des Künstlers sind, der keine Orte wiedergibt, sondern vielmehr Orte schafft.
Hierzu sagt der Künstler selbst: „Es gibt zwar keine unentdeckten Flecken mehr, aber dafür kann die Malerei Unbekanntes schaffen und eine Distanz sichtbar machen. Die Kunst wird so zum Modell für das nichtmanipulierbare Unzugängliche. Sie hat seit jeher die Kraft, die Welt nicht allein aus dem Aspekt des Nutzens zu sehen, sondern aus dem Aspekt der Wirkung; die Frage der Kunst ist nicht, was mache ich mit dem, was ich sehe, sondern, was hat das, was ich sehe, mit mir zu tun.“
Und so wird paradoxerweise – was nach Außen hin wie eine Reisedokumentation aussieht, eine Erforschung der Malerei selbst und ihrer Mittel, aber auch eine Selbsterforschung des Künstlers.
In dieser wie auch in formaler Hinsicht unterscheiden sich Rießbecks Werke auf den ersten Blick nicht von denen seiner Malerkollegen; sein Ansatz ist jedoch durchaus verschieden. So malt er nicht nach Fotografien, wie es ein Gerhard Richter macht oder nach Bildern aus dem Internet, das ein Eberhard Havekost als einen schier unerschöpflichen Bildspeicher nutzt, sondern er malt nach Sinneseindrücken, die er entweder – in den Reisebildern - unmittelbar wiedergibt oder die er anschließend im Atelier nach seinen Erinnerungen neu schafft. Es ist dabei nicht nur eine technische Fußnote, wenn ich konstatieren, dass Rießbeck nicht nach Fotos malt. Im Atelier mischen sich erinnerte Eindrücke mit seiner Vorstellung, wie es gewesen sein könnte. Die fünf Männer in ihren gelben Schneeanzügen in der großformatigen Arbeit „Team“ hat es so nicht gegeben. Der auf den ersten Blick dokumentarische Charakter seiner Werke wird immer wieder durch derartige hypothetische Momente durchbrochen. Rießbeck ist uns einen Schritt voraus, weil er die Gegenden der Arktis und Antarktis bereist hat und ähnliche Situationen gesehen hat oder gesehen haben könnte. Weitaus stärker als bei einem Dokumentarfoto bindet er uns aber auch ein, konfrontiert uns mit dem Unbekannten, das die vermummten Forscher vermitteln, wenn sie diese unzugängliche, kalte Welt betreten. Es bleibt ja auch völlig unklar, was diese Forscher eigentlich machen. Sie stehen oder liegen, mit Stöcken oder Messinstrumenten bewaffnet, bewegen sich auf Skiern, doch ihr Tun bleibt uns seltsam verborgen. Man muss sich das Vorstellen. Da reist ein Maler viele tausend Kilometer in entlegene Gegenden, nimmt Strapazen und Entbehrungen auf sich, lässt sich auf ein Abenteuer ein, doch was er malt und mit nach Hause bringt sind rätselhafte Bilder, die zwar Menschen und Landschaften zeigen, aber nichts wirklich enthüllen. Wohin blickt der Mann, den Sie auf der Einladungskarte sehen? Was macht der Geologe auf einer der kleinen Papierarbeiten? Es ist eine vornehme Aufgabe der Malerei, ich sagte es Eingangs, uns die Welt zu entziehen, uns immer wieder die Unmöglichkeit vor Augen zu führen, die Welt nur ansatzweise durchdringen oder erklären zu können.
Solchermaßen machen die Bilder deutlich, das auch der Künstler letztlich keinen wirklichen Zugang zu dieser Welt gefunden hat. Der Forscher beobachtet, er versucht in diese Welt einzudringen und bleibt doch nur Betrachter. Rießbeck adaptiert die Methodik der Forscher, indem er sich eine eigene Versuchsanordnung auferlegt, jeden Tag genau ein Bild identischer Größe zu malen. „Der Blick des Forschers“ ist der Blick des Künstlers. Max Beckmann hat dafür in seinen Werken das Symbol des Fernrohrs gefunden, das als Stellvertreter des Künstlers erscheint. Der (Er-) Forscher Beckmann ist allerdings nicht allzu weit gereist, die Dinge in seinem Atelier, eine Hotelbar, eine vertraute Landschaft, vertraute Menschen oder Eindrücke des Zirkus genügten ihm, um eine Welt zu erschaffen. Viele heutige Künstler malen alltägliche Dinge ihrer Umgebung oder bereisen das Internet nach verwertbaren Motiven. Man muss schon sehr weit fahren, um noch Unbekanntes zu finden. Die Bilder Rießbecks vermitteln uns dieses Fremde und Unbekannte. In der Serie der Nachtbilder etwa scheinen Eisberge vor undurchdringlichem Schwarz auf. Man kann sich gut vorstellen, wie das Expeditionsschiff nachts daran vorbei gefahren ist. Und doch überlagern sich in unserer Wahrnehmung dieses Bild mit erinnerten Bildern. In „Nachteis 4“ schiebt sich die Toteninsel Arnold Böcklins ins „Bild“, einen Künstler, den Rießbeck neben Munch, Nietzsche, Hölderlin oder den Beatles zu seinen „Göttern, Freunden oder Verwandten“ zählt (siehe Katalog). Der Vergleich mit Böcklin ist durchaus erhellend. Seine Insel liegt greifbar nah vor uns, und ist doch eigentlich unbetretbar. Ebenso entziehen sich uns die Landschaften Gerhard Rießbecks, können wir seine Bilder nicht betreten.
Seine Eisberge sind sicherlich unspektakulärer als die Böcklinsche Insel oder der bedrohliche Eisberg von Caspar David Friedrich. Erst die Malerei macht sie bedeutsam, spektakulär.
Bisweilen tauchen dann aber doch auch Menschen auf, zum Teil formatfüllend wie in den vier großen Bildern in diesem Raum. Es sind Forscher, die Zeugen der Reisen sein könnten. In Ihrer modernen funktionalen Kleidung schotten sie sich ab, bleiben in ihrer Welt. Die Blicke dieser Beobachter sind hinter getönten Spiegelbrillen verborgen. Wie anders, anachronistisch und schutzlos, muten da Amundsen und Scott in ihrer vergleichsweise unfunktionalen Kleidung an. ....Rießbeck und uns sind sie jedoch genauso fremd und fern wie die Zeitgenossen, die sich gegen die Umwelt wappnen, von der sie nie ein Teil werden können. Der Forscher ist, ich sagte es bereits, in mancherlei Hinsicht dem Künstler verwandt. Denken Sie an die aktuellen Experimente am CERN in Genf. Tausende von Wissenschaftlern haben dort viele Jahre ein Experiment vorbereitet, (nur) um ihre Theorie der Entstehung der Welt kurz nach dem Urknall zu beweisen. Auch der Künstler trägt die Vorstellung von dem, was er gestalten will, längst in sich, bevor er zu malen anfängt. Das fertige Bild kommt dieser Idee mehr oder weniger nahe. Es ist gewissermaßen der Prüfstein der ursprünglichen Theorie oder Vorstellung.
In seinen Bildern – meine sehr verehrten Damen und Herren – scheint Rießbeck auf den ersten Blick das Unfassbare, das Unbetretbare dokumentieren zu wollen, um es zu durchdringen und für sich und für uns verstehbar zu machen. Nüchtern betrachtet ein unmögliches und sinnloses Unterfangen. Wenn es sich um eine Dokumentation handelt, so ist sie aufgrund der Menge des Materials und der Widrigkeiten des Ansammelns von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Jedes Bild wäre ein Versuch, dies zu durchbrechen. Jedes Bild ein winziger Ausschnitt, jedes Bild aber auch eine eigene Welt. Als Betrachter merken wir, dass wir diese Welt durch die Bilder Rießbecks nicht besser kennen lernen und verstehen, lediglich unsere Wahrnehmung ändert sich. Anstatt uns diese Welt also näher zu bringen, entfernen wir uns noch von ihr und werden auf unseren eigenen Standpunkt und unsere eigenen Erfahrungen zurückgeworfen.
Macht diese Skepsis Rießbeck zu einem Romantiker, wie es die teils ‚romantischen’ Motive, die Eisberge, der Nebel und die verhüllende Nacht anzudeuten scheinen? Ihm geht es, wie ich denke, nicht um die Darstellung von Gegenständen als Metaphern für Natur oder das Göttliche. Der Eisberg will uns nicht wie bei Caspar David Friedrich zeigen, welch kleinen Teil die sichtbare Welt ausmacht, wie viel „unter Wasser“ verborgen ist. Der Eisberg ist doch nur ein Eisberg, der sich dem Blick des Forschers und Malers darbietet – als Gegenstand der Untersuchung und der malerischen Inbesitznahme. Metaphorisch ist lediglich das Streben des Menschen, sich dem Unbekannten immer wieder auszusetzen, es erforschen und erfassen zu wollen. Die Malerei fungiert als Mittel, das Unbekannte in die eigene Sprache zu übersetzen, die Faszination, die der Künstler auf seinen Reisen gespürt hat, zu begreifen. In diesem Sinn unterscheiden sich Rießbecks Bilder gar nicht so sehr von den Griechenland- und Italienbildern des 19. Jahrhunderts.
Auf einer großformatigen Arbeit In der Rotunde des Dampfbads fährt ein Skifahrer nach rechts ab. Wohin? Schneeflocken bedecken irrisierend die Leinwand. Vielleicht ist alles nur ein Traum gewesen? Hat nicht auch ein Karl May fremde Gegenden zunächst nur auf der Landkarte bereist und dennoch unsere Vorstellung vom wilden Westen und nahen Osten maßgeblich geprägt? Hat Rießbeck womöglich die weite Reise auf sich genommen, um die Vorstellung von dieser Welt mit dem Erlebten abzugleichen?
Immerhin – der Expeditionsmaler Gerhard Rießbeck, das können uns die Bilder trotz der in ihnen auftauchenden Brüche zeigen, war da. Aber sind wir, die wir die Bilder heut sehen, es auch? Sehen Sie selbst.
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Harlekin, Halloween und Haribo
von Hans-Peter Miksch, 2003
In
der Malerei, die er am Ende seiner Akademiezeit in den frühen
90er Jahren des letzten Jahrhunderts schuf, suchte Gerhard Rießbeck
eine Verbindung von heroischer oder utopischer Landschaft und einem
hochartifiziellen, bühnenbildhaften Geschehen, das ins Überwirkliche
kippt. Monumentale architektonische Versatzstücke, Planeten
oder Fahnen waren sein dramatisches ’Personal‘, das er
in Wasserflächen, Weltenräume oder Wolkenhimmel platzierte.
Zehn Jahre später hat er, ganz und gar Bildproduzent und nicht
Theoretiker, seine Arbeiten diversifiziert: Den Landschaftsbildern
aus Island oder der Arktis, letztere Ergebnis seiner nicht ohne Humor
gespielten Rolle als Expeditionsmaler (Zitat aus dem Expeditionstagebuch:
"19.6.2001/ 22.30 Uhr/ Die Expedition hat begonnen. Der Expeditionsmaler
auch."),
stehen Figurenbilder gegenüber, die narrativ-märchenhaft
oder subtil-bösartig eine tolldreiste Welt hinter der wirklichen
Welt auftun, sozusagen Halloween im Atelier. In beiden Bildserien
steckt ein je unterschiedlicher Anteil an Erhabenheit wie an Ironie,
doch kaum ein Bild der letzten Jahre ist völlig frei von einer
gewissen anarchischen Hintergründigkeit oder Paradoxie. Die
existentialistische Vorgabe und Prägung seines ehemaligen Lehrers
Werner Knaupp hat er transponiert und im Sinne der Postmoderne zeitgenössisch
aufgehoben (die dreifache Bedeutung des Begriffs ’aufheben‘ ist
seit Hegel bekannt).
"Die Künstler gestalten nach wie vor ihre Welt, indem
sie die Gestalt ihrer Welt in sich bergen und wieder aus sich herausstellen.
Welt ist nicht nur das Sichtbare, das sinnlich Erfahrbare, Welt ist
auch das Denkbare und Bedenkenswerte, ist Wollen und Vorstellen,
Wissen und Träumen, Hoffen und Befürchten, Wahrheit und
Widerspruch." schreibt der Kunsthistoriker Gerhard Mammel 1981.
Natürlich geht Gerhard Rießbeck aus von technischen Aufgabenstellungen,
zu der ihn die Malerei herausfordert. Doch die Sujets sind teilweise
so drastisch, dass sie über austauschbare Anlässe zum Malen
deutlich hinaus gehen. Rießbeck bildet sich die Welt zuerst
ein, er macht sich ein Bild von der Welt, das er dann aus sich herausstellt;
dabei handelt es sich um Vorstellungen, die anzusiedeln sind zwischen
Märchenwirklichkeit und Traumgespinst, Pathos und Romantik,
barocker Sinnenfreude und einer Affinität zum Magisch-Mythischen,
um Vorstellungen, die die Lust am Fabulieren und Assoziieren erkennen
lassen. Im Wechselspiel werden eigene Gefühlslagen evoziert
und fremde provoziert, den Bildern ist die Freude an der Inszenierung
von Wirklichkeit eingeschrieben.
Rießbeck ist kein Maler, der sich vor seine Bilder stellt,
um ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, die sie nicht haben. Er legt
alles hinein, was er mit Malerei auszudrücken vermag. Sujet,
Komposition, Malmittel und -technik verhindern, dass man diese Bilder
verwechselt mit von den Massenmedien produzierten Bildern. Das ist
Teil des (Stil-)Programms von Gerhard Rießbeck und verhindert
auf der Wirkungsebene, dass der Betrachter die Malerei in ästhetischer
Unmündigkeit und visueller Abgestumpftheit erlebt. Statt dessen
stimulieren die Gemälde starke Stimmungen und ein Wechselbad
der Gefühle.
"Im Grunde genommen wäre
ich wohl am liebsten ein Maler von Altarbildern." Dieses Zitat
aus dem Katalog von 1997, das
nun ja ausdrücklich nicht auf die Sujets gemünzt ist, befremdet
nach dem eingangs gefällten Urteil: Einer, dem scheinbar nichts
heilig ist (die Dornenkrone vor einem Tarnanstrich - vergleiche
das Bild "Dornenkrone Camouflage"), will Zeichenhaftes
schaffen, das "der Aura des Religiösen" verwandt
bleibt? Einer, der die Eisberge als einsame Gesellen malt, hinter
dessen Eismeerbildern als runnning gag der cartoonhafte Schneemann
lauert, der wie ein höfischer Narr seinen Herrn, den Künstler,
an die Endlichkeit seiner Versuche und die Vergeblichkeit seines
Tuns mahnt, träumt vom Bild als Stellvertreter? Einer, der anscheinend
die Frankfurter Schule mit der Romantik verkuppelt, der Robert Gernhardt
und Caspar David Friedrich zu seinen Patenonkeln erklären könnte,
glaubt an die Erhabenheit der Malerei? Ein kultischer Gebrauch von
Malerei soll in Zeiten vielfach bloßer Ausstellungskunst, die
zumeist lediglich temporär existiert, noch anklingen? Was hätte
Walter Benjamin dazu zu sagen? Goethe zumindest hätte beim Anblick
solcher Malerei gewütet wie bei den C.D. Friedrich-Bildern,
unterstellt, dass da Landschaftsmalerei in die Kirche schleichen
und auf Altäre kriechen will. Und dann hätte er solche
Bilder ebenso an der Tischecke zerschlagen wie ehedem die von C.D.
Friedrich (nach der Tagebuchnotiz von Sulpiz Boisserée).
Das Zeitgenössische der Landschaftsmalerei von Rießbeck
ist, dass selbst die Ansichten scheinbar unberührter, menschenleerer
Natur die Trennung von Prozess (das Malen des Bildes) und Sujet (der
Berg, das Meer) betonen. Der Gegenstand dieser Kunst ist das Malen
eines Bildes, nicht die Landschaft: Da ist nichts Literarisches,
da ist keine Nachahmung. Die Bilder entstehen schließlich nicht
vor der Natur, sondern mit beträchtlichem zeitlichen und räumlichen
Abstand im Atelier. Aber da ist eine Begegnung, die etwas zum Anlass
nimmt, künstlerische Autonomie zu behaupten.
Welche
Begegnung hat Rießbeck mit zornigen Kasperln, lächerlichen
Schneemännern oder diabolischen Geister-Kürbissen?
Etwas, was den Sonntagsmaler unterscheidet vom professionellen Künstler,
ist die Tatsache, dass ersterer nur ’sonntägliche‘ Gefühle
aufgreift und darstellt. Es ist weniger die investierte Zeit, die
allerdings die notwendige technische Routine bringt, als vielmehr
der Ausschluss oder Mangel an biografischem Bezug, der die beiden
Gruppen trennt. Gerhard Rießbecks Themen sind im engeren (Figurenbilder)
wie weiteren Sinn (Landschaft) mit seiner Lebenswirklichkeit verbunden:
Lebenspraxis gerinnt zu Kunst. Natürlich sind es die Berührungen
mit der Vorstellungswelt der eigenen Kinder, die anfangs zu den märchenhaften
Kompositionen, den wütenden Harlekinen (weite Verbreitung fand
das Motiv, das das Plakat und die Einladungskarte zur Großen
Münchner Kunstausstellung 2003 zierte) oder dem einer Karikatur ähnlichen
Schneemann führten. Auch Peter Angermann (Gruppe "Normal" mit
u.a. Milan Kunc) malte seine bekannten Bärenbilder zumindest
in Gedanken für das Zimmer seiner Kinder.
So wenig wie er Landschaften abmalt, so wenig illustriert Rießbeck
Märchen. Er lässt es zu, dass sich die Figur eines Schneemannes,
dessen Doppelgründigkeit er beim Anblick eines von Kindern gemachten
Exemplars erkannte, verselbständigt. Das Lächerliche und
die Erhabenheit kommen gleichermaßen zu ihrem Recht. In jeder
Märchenfigur steckt im Grunde so ein janusköpfiger Charakter,
man denke nur an Figuren wie Rumpelstilzchen oder Gretel, die bereit
ist, für die Befreiung ihres Bruders die Hexe zu töten.
Die Zwerge sind mal liebe (Schneewittchen), mal ausgesucht gehässige
Gesellen (Schneeweißchen und Rosenrot). Christliche und heidnische
Motive mischen sich in den Märchen. Aus diesem Wissen heraus
hat eine Pädagogik der political correctness jahrelang die angeblich
bösen Märchen versucht zu unterdrücken, aus diesem
Grund kleiden sich Erzieherinnen in Kindergärten vor den Augen
der lieben Kleinen um zum Nikolaus: Bloß kein Schrecken für
die Kinder, die doch nichts mehr lieben, als sich gegenseitig zu
erschrecken. Seit Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts kommt
bei völligem Fehlen der Tradition der Halloween-Rummel in Deutschland
auf. Und was wäre der Boom der Dinosaurier oder der Monsterfiguren
ohne die kindliche Lust an Gut und Böse - oder ist das alles
bereits ein stilles Wissen davon, dass es gut nicht ohne böse
gibt und wir Menschen zu beidem gehörig in der Lage sind? So,
wie der Mensch vorgeburtlich im Zeitraffer die biologische Entwicklungs-geschichte
durchläuft, so durchläuft er mit dem Erwachen seines Verstandes
die geistesgeschichtliche. Das Magisch-Mythische gehört dazu. "In
den Köpfen der Kinder, dachte Solanka, sind die Kreaturen der
Phantasiewelt - Personen aus Büchern, Videos oder Songs - tatsächlich
weit realer als die meisten lebenden Menschen, Eltern ausgenommen.
Wenn wir heranwachsen, verlegt sich die Gewichtung, und die Fiktion
wird in eine separate Realität verwiesen, eine Welt für
sich, von der wir meinen, daß sie dort hingehört." (Salman
Rushdie, Wut. Dt. Übersetzung 2002, Kindler Verlag, Berlin).
In
der Serie "Ich sehe was, was du nicht siehst", betitelt nach einem ewigjungen
Spiel, das man ohne Übertreibung auch
als Wahrnehmungs- und Sehtraining verstehen kann, wird die Dingwelt
zum Leben erweckt. Der Kartoffelkönig wird schmerzhaft ’aufgegabelt‘,
das Ei ist ein lebender Kobold, der furchtsam auf seine Enthauptung
wartet, jemand hat dem Schläfer (oder Schnarcher?) einen Ballon
in die Nase appliziert, der in Kürze mit einem unsanften Knall
den Träumer wecken wird. Ortlos werden diese Szenen entworfen,
vor einem neutralen Hintergrund, der durch die raffiniert gemalten
Schatten räumlich wird wie eine Bühne, besetzbar für
jedermanns Fantasie. In bengalisches Licht getaucht erscheinen die
"Symbiosen" mit ihrer oralen Erotik zwischen Ekel und Faszination.
Da schleimt, kriecht,
krabbelt es, dass alle Sinne des Betrachters geschärft werden.
Diese Bilder hört, riecht und schmeckt man förmlich als
wären es bunte Haribo-Träume. Kräftige Farben heizen
die Bildräume, manchmal luzide aufgebracht und abgetönt
eingesetzt, dann wieder volltrunken-schrill, ein vibrierendes Schwarz
oder ein glamouröses Grau, aber auch kalte Töne erwärmt
bis zum Gehtnichtmehr, warme Farben abgekühlt bis zum Frösteln
- das Spiel mit der schier unendlichen Palette reizt Rießbeck
völlig aus, ob Simultan- und Komplementärkontrast oder
das Spiel mit Licht und Schatten, ob Lokalfarben oder verselbständigte,
expressiv eingesetzte Farbe, die die Komposition konstruiert und
durch ihre Emotion den Betrachter ins Bild reisst, es gibt kein (Spannungs-)Mittel,
das er nicht ausprobiert. Und so wird der Zuschauer dieses burlesken
Theaters auch zum Zeugen für technische Kabinettstücke
eines noch jungen Malers, der mit wagnerianischer Rauschhaftigkeit
das Malen um des Malens willen betreibt und Bühnenräume
für eigene kleine Fantasie-Opern auf der Leinwand entwirft.
Und was das Beste daran bleibt: Es sind Dramolette im Comedia dell'Arte-Stil,
voller Selbstironie und Humor.
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Gerhard
Rießbeck - ein Maler im Polarmeer
von Nicola
Borger-Keweloh
Es
lässt sich häufig beobachten, dass es die Menschen
aus dem Süden zur Kargheit der nördlichen Landschaft zieht.
Gerhard Rießbeck ist einer davon. Er malte schon Bilder vom
Eismeer, bevor er auch nur die Aussicht hatte, es selbst zu sehen.
Seine Reise mit der POLARSTERN trat er sozusagen vorgeprägt
von seinen theoretischen und künstlerischen Auseinandersetzungen
mit dieser Landschaft an.
Landschaft
ist lange und immer wieder sein zentrales Thema. Zwei Vorbilder haben
ihn geprägt, einesteils Caspar David Friedrich,
andererseits Werner Knaupp, sein Lehrer an der Akademie der Bildenden
Künste in Nürnberg, dessen Meisterschüler er 1991
wurde.
Mit
Knaupp teilt Rießbeck das Thema Landschaft und die Freude
am Reisen in unberührte Landschaften: Er fährt 1994 nach
Island, 1997 nach Norwegen, 1998 nach Grönland, 1999 in die
Wüste Sahara, 2000 nach Lappland, 2001 schließlich zum
Polarmeer.
Norwegen,
Grönland, die Sahara, Lappland und jetzt das Polarmeer,
das alles sind Landschaften, die vom Menschen kaum oder gar nicht
berührt sind. Natur pur.
Die
eine Wüstenreise unternahmen Knaupp und Rießbeck
gemeinsam. Die Wüste hat Rießbeck künstlerisch anders
als seinen Lehrer allerdings nicht beeindruckt.
Die
unterschiedliche Landschaftsauffassung von Lehrer und Schüler
ist aufschlussreich.
Knaupp
zeichnete mit dem Stift meist dem Kugelschreiber in engen, kreisenden
Schraffuren,
die zu dichten tektonischen Gebilden werden.
Die Magie der Landschaft, des Lichts, der Naturgewalt mündet
in artifizieller Verfremdung, die zugleich eine Verinnerlichung,
eine Einvernahme der Natur durch den Künstler darstellt. Es
entsteht eine Essenz von einer Landschaft in einer gegenstandsfernen
Bildsprache, die mit Lichtwertigkeiten noch die gegenständlichste
Deutung erfährt.
Rießbecks
Naturverarbeitung ist ganz anders. Bei ihm tauchen wirkliche Eisberge
aus dem Meer,
werden von Nebel in Blau Grau-Stufen
getaucht oder spiegeln, wenn auch nur selten, das leuchtende Orange
der Sonne.
Rießbeck
stellt sich der Natur also auf den ersten Blick sehr direkt: Er erscheint
der Natur verhaftet, in ihren Bann geraten.
Wenn
man genau hinguckt fällt auf: So direkt ist sie nun auch
wieder nicht gesehen. Oft sind die gezeigten Blickwinkel vom Schiff
aus gar nicht möglich. Irritierende räumliche Wirkungen
und künstliche Schattenschärfen entlarven Felsen, Eisberge
oder Wolken als dramatisch aufgebaute Kulissen. Die Realität
ist bewusst übersteigert und gestört. Fotorealismus liegt
Rießbeck fern.
Nicht
einmal die Skizzen, die er an Bord fertigte, haben dokumentarischen
Charakter. Rießbeck hat keine präzisen Details aufgenommen,
obwohl er hervorragend zeichnen kann. Er hat die Acrylskizze gewählt,
und diese Skizzen sind malerischer und weniger detailliert als die
später im Atelier gestalteten Bilder.
Er hat auf der Reise bestimmte Stimmungen durchgemacht und unterschiedlichste
Wetter , Nebel und Sonnenwirkungen innerhalb der Natur erlebt. Sein
Tagebuch in diesem Katalog belegt das ganz direkt.
Rießbeck gestaltet schließlich mehrere Bildserien mit
von Serie zu Serie wechselnden, ähnlich proportionierten aber
verschieden großen querrechteckigen Gemälden. Wenn ein
Maler nach einer Reise im Atelier Bildserien malt, könnte man
vermuten, dass er das Erlebte in seinem Ablauf gestaltet. Er zeigt
zwar in der Ausstellung 41 Bilder zu 41 Reisetagen. Das ist aber
nur ein Teil der wirklich entstandenen Werke. Schon damit erweisen
sich die Bilder nicht als stimmungs und/oder landschaftskonforme
Reisedokumentation. Der Maler zieht vielmehr die Bilanz möglicher
Ansichten, besser Wirkungen der Polarlandschaft.
Rießbeck vermittelt mit seinen Bildern die menschenferne Stille,
ja sogar die Stille außerhalb jeder belebten Kreatur: Kein
Eisbär, kein Seehund die im Tagebuch auftauchen stört die
unendliche Einsamkeit der gewaltigen Natur.
Bei aller Gegenständlichkeit abstrahiert Rießbeck denn
eben doch. Die so naturalistisch erscheinende Landschaft ist eine
künstliche. Mit dieser Art der Naturverarbeitung steht er nicht
allein. Bei zahlreichen voneinander unabhängigen jungen Künstlern
findet sich diese frappierend direkte Umsetzung von Naturbestandteilen
und Dingen, die bei näherem Hinsehen ins bühnenhaft Surreale
kippt. Rießbeck hat an einer Exkursion teilgenommen mit 43
Besatzungsmitgliedern und 33 Wissenschaftlern. Er hat mit ihnen Gespräche
geführt, Tischtennis gespielt, getrunken. Doch die Menschen
waren für Rießbecks Kunst unerheblich.
Er hat zwar durchaus amüsiert die Rolle des Expeditionsmalers
gespielt, wie er historische Eismeerexpeditionen vor Erfindung der
temperaturunabhängigen Fotografie zu begleiten pflegte. Aber
diese Rolle spielte er nur äußerlich. Er hat nichts von
der Forschung wiedergegeben, die das Geheimnis der Eisberge auf wissenschaftliche
Art lüften und z.B. Aufschlüsse über unser Klima geben
'soll, wie es Eberhard Fahrbach in diesem Katalog darlegt. Rießbeck
hat sozusagen sein eigenes Forschungsgebiet gepflegt: Ihn beeindruckt
die gewaltige Natur in ihrer äußeren magischen Erscheinung.
Wir wissen, dass diese Natur von menschlich verursachten chemischen
und biologischen Prozessen verändert und beeinträchtigt
ist. Optisch jedoch erscheint sie nicht von Menschenhand berührt.
Diese urtümliche Naturgewalt ist es, die den Künstler fasziniert.
Die Natur erscheint nicht
nur unberührt, sie ist zugleich unberührbar.
Die malerische Darstellung ist nur eine Annäherung an das, was
man um 1800 die Erhabenheit der Natur nannte. Damit sind wir bei
Rießbecks historischem Vorbild Caspar David Friedrich – der übrigens
sein Gemälde "Das Eismeer", besser aber fälschlich
bekannt als "Gescheiterte Hoffnung", ohne persönliche
Kenntnis des Eismeers malte. Goethe unterschied die Kunstwahrheit
von der Naturwirklichkeit. Er bezog die Kunstwahrheit allerdings
auf die klassische Vollkommenheit der Darstellung, während Kunstwahrheit
bei Friedrich die geistige Erfassung ist. Er sagte: "Schließe
dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen zuerst siehst dein
Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es
rückwirke auf andere von außen nach innen." In diesem
Sinne ist das Begriffspaar Kunstwahrheit und Naturwirklichkeit auch
für Rießbeck klärend. Letztendlich geht es um den
Blick mit dem geistigen Auge, das die Natureindrücke zu etwas
Gültigem verarbeitet. Der Natur wird eine eigene Würde
zugesprochen, die bei Friedrich in der Sakralisierung der Natur mündete.
Rießbeck hat 1997 in einem Interview zu einer Ausstellung im
Kunstverein Bayreuth gesagt: „...Im Grunde genommen wäre
ich wohl am liebsten ein Maler von Altarbildern. Das ist die Stilebene,
in der ich gerne zu Hause wäre. Aber in Ermangelung einer zentralen
Utopie, die mir das erlauben würde, beschäftige ich mich
eben mit banaleren Dingen wie Schneeflecken, die aber, wie ich meine,
doch immerhin mit der Aura des Religiösen verwandt sind, weil
ich sie als Zeichen auffasse, wenn auch mit unverständlichem
Inhalt.“ Die Erkenntnis der Würde, der Eigenständigkeit
der Natur unabhängig vom Menschen und einer mehr oder weniger
bewusst empfundenen religiösen Aura bewirkt zugleich eine gewaltige
Distanz zwischen Künstler und Sujet. Der Maler sucht in seinen
Bildern sich dem Geheimnis der Naturzeichen zu nähern, ohne
diese Distanz wirklich zu überwinden oder vielleicht auch ohne
sie überwinden zu wollen.
Neben Landschaftskulissen beschäftigen Rießbeck auch Figuren,
die dann aber eher erzählend, ironisch, fast comichaft sind.
Um für das Erhabene der Landschaft frei zu bleiben oder auch
Distanz zu behalten, hat er sich immer wieder in das Schiffsinnere
zurückgezogen und gezeichnet, nicht die gesehene Landschaft
draußen, sondern eine Serie von Schneemännern. Auch in
seinen Zeichnungen lässt Rießbeck die Beschäftigung
mit dem 19. Jahrhundert ahnen. Der altmeisterlich gezeichnete Schneemann,
auf der Schlussseite schließlich nur noch rudimentär erkennbar,
zeigt sich als muntere Gestalt, mal vor einem Häuschen, auch
von Eisplatten gequetscht, sich spiegelnd, trinkend, plauschend,
mit ironischen Zitaten von Genrebildern, sozusagen als Illustration
zu einer noch ungeschriebenen Geschichte oder auch einer Geschichte,
die sich jeder Betrachter, seiner eigenen Phantasie folgend, ausdenken
kann.
Auch
der Schneemann ist nicht auf dieser Reise entstanden. Hier greift
er eine eigene
Bildfindung
aus den 90er Jahren auf. Er projektiert
also eine vorgedachte Figur in eine Landschaftskulisse, die auch
schon eine teilweise vorgedachte ist. Bereits diese Vorgehensweise
zeigt, dass er nicht nur nicht nach der Natur arbeitet, sondern sogar
gezielt vorsorgt, es nicht zu tun, sich nicht von der Realität
zu sehr formen zu lassen.
Führt man sich das vor Augen, helfen die so ganz andersartigen
Zeichnungen beim Umgang mit den Eisgemälden: Als malerische
Tagesberichte passen sie zum Rollenspiel Rießbecks als Expeditionsmaler.
Doch sind die bühnenhaft konstruierten Landschaften ansonsten
eine wortlose Erzählung über eine Landschaft ohne konkreten
Bezug.
Als
Serien konzipiert geben die Bildgruppen jeweils als Gesamtes ein
mögliches Fazit der Reise. Die einzelnen Bilder verweisen
dabei nicht auf ganz bestimmte persönliche Empfindungen des
Künstlers per Tag und Bild. Jedes Gemälde für sich
ist auch außerhalb der Serie ein Beleg für das Ganze,
das Polarmeer als sozusagen heroisch unberührte Landschaft.
Die Deutung der Landschaftsbilder ist nicht wirklich festgelegt.
Sie lässt wie die Schneemanngeschichte Spielraum für den
Betrachter, es können auch Bühnenbilder sein für unbekannte
Dramen.
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SONDERPREIS
DES VERLEGERS DER NÜRNBERGER NACHRICHTEN
GERHARD RIESSBECK
von Curt Heigl, Kunsthallendirektor i.R.
Das
Streben nach dem Unbekannten, nach der kühlen, klaren Weite
eines vom Menschen noch unberührten, unverdorbenen Landes
ist eine zutiefst romantische Sehnsucht. Caspar David Friedrichs "Das
Eismeer" wurde zum Sinnbild solcher Träume und der Gefahr
ihres Scheiterns. Wobei es schon damals, vor bald zwei Jahrhunderten,
letztlich nicht um das realistische Abbild einer wie auch immer
exotisch anmutenden Weltengegend ging, sondern um die Reflexion
von Visionen
und den Ausdruck einer geistigen Haltung. Dem durchaus verwandt
und dennoch von zeitloser Modernität ist die Kunst des Malers
Gerhard Rießbeck.
Rießbeck hat die Eismeere tatsächlich bereist und ihre
kalte, kristalline Schönheit unmittelbar erfahren. Eine Schönheit,
die eine absolute ist, weil sie nicht nur die romantische Sehnsucht
stillt, sondern weil diese Schönheit zugleich radikal menschenfern,
ja lebensfeindlich ist. Davon und von manchem mehr, das sich an der
Grenzlinie von Wunsch und Wirklichkeit verbirgt, erzählen die
Bilder Rießbecks.
Diese
Ansichten von Himmel und Erde, Wasser und Eis ziehen den Betrachter
nicht allein durch ihre handwerkliche Brillanz, ihre
großformatige,
den Raum dominierende Präsenz in den Bann. Vielmehr noch fesseln
diese Panoramen von den äußersten Rändern der
Welt durch ihre gleichsam gefrorene Dramatik, hinter der sich
die lakonische Einsicht verbirgt, wie klein der Mensch doch
bleibt in den Weiten des Universums - auch dies ist eine romantische
Erkenntnis.
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